„Aber sie haben versagt“

Heute sind 435 Atomkraftwerke (Stand 1.9.2009, Quelle: Welt-Statusreport Atomindustrie 2009/August 2009) weltweit in Betrieb. „Zwei haben schrecklich versagt. Eines in Harrisburg, eines in Tschernobyl.

Versagen gehört zu unserer Welt. Es gibt keine absolute Sicherheit. Jede Technik hat Schwachstellen. Versagen ist menschlich. Mit Versagen nicht zu rechnen, ist verantwortungslos und unmenschlich.  – Die Atomwirtschaft setzt auf technische Wunderwerke, die nicht versagen – aber sie haben versagt.

Mag sein, die schweizer Atomkraftwerke sind doppelt so sicher wie die russischen. Dann passiert es in acht Jahren statt in vier.

Wer evakuiert die Zürcher wohin? Werden die Basler nach Capri evakuiert? Die Berner auf die Kanarischen Inseln?

Jeder wird allein gelassen sein. Die Politiker werden unfähig sein, etwas zu tun. Sie werden abwiegeln und beschwichtigen.

Nur keine Panik, sagen sie. Unsere Sorgen sind verständlich, sagen sie, aber völlig überflüssig. Vor allem soll alles so weitergehen, sagen. sie. Nur jetzt noch sicherer. Atomstrom schafft Arbeitsplätze, sagen sie.

Beschwichtigung von Ignoranten. Sie sehen nichts – sie hören nichts – sie lernen nichts. Sie haben nur gelernt wie man Wahlen gewinnt.

Was haben wir gelernt?

Es reicht nicht, gegen das Informationschaos und den Beschwichtigungsnebel der Regierung zu protestieren. Es reicht nicht, mehr Schutz und Sicherheit zu forden. Es reicht nicht, weil uns so eindrucksvoll wie noch nie bewiesen wurde und wird, in welchem Ausmass die Politiker der Lage nicht gewachsen sind.

Wenn wir heute nichts dagegen unternehmen, werden sie sich morgen bedanken für unser Stillhalten und unsere „Vernunft“. Jeder muss überlegen, was er tun kann. Jeder an seiner Stelle. Dieses Mal vergessen wir’s nicht.(Diese Anzeige erschien am 23.5.1986, vier Wochen nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl, in der Wochenzeitung DIE ZEIT. Verantwortlich im Sinne des Presserechts zeichnete Inge Aicher-Scholl, die Schwester von Hans und Sophie Scholl.)“

(Aus „Die Wolke“ von Gudrun Pausewang – Text mit kleinen Änderungen/Anpassungen an die Schweiz. Das Jugendbuch erschien 1987 und weist auf die Gefahr einer Reaktorkatastrophe mitten in der dichtbesiedelten Bundesrepublik hin. Es erhielt 1988 den Deutschen Jugendliteraturpreis, wurde 2006 verfilmt und graphisch umgesetzt von Anike Hage als deutscher „Manga“/Graphic Novel.)

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